DAILY UNIFORM
Galerie Funke, Berlin, 2010


Die Galerie Funke eröffnet am 1. Oktober 2010 um 18 Uhr ihre neuen Rãume in Kreuzberg mit der ersten Einzelausstellung von Desiree Palmen in Berlin und in Deutschland. Die 1963 in den Niederlanden geborene Künstlerin studierte Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Kunst in Maastricht und lebt in Rotterdam und in Berlin. Ihre aktuellen Arbeiten umfassen die Medien Fotografie, Video, Malerei, Zeichnung sowie Performance. Desiree Palmen nahm an zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen in Spanien, Israel, den USA, Österreich, Belgien und Deutschland teil. Ihre Werke waren in Soloausstellungen u. a. in Venedig, Wien, Amsterdam und Rotterdam zu sehen.

Die Galerie Funke zeigt eine Auswahl von Palmens Werken aus den vergangenen zehn Jahren. Dazu zãhlen die Zeitungsübermalungen aus der Serie DAILY UNIFORM von 2003/04 sowie Fotografien und eine Videoarbeit aus dem wãhrend eines Aufenthalts als Artist in Residence 2006 in Jerusalem entstandenen Projekt OLD CITY SUIT.

In Desiree Palmens Kunst steht das Thema der Camouflage im Zentrum, angeregt durch ihre Auseinandersetzung mit den aus der Biologie bekannten Phãnomenen der Mimikry, der Anpassung und der Tarnung in der Tier- und Pflanzenwelt. Nach den Terroranschlãgen vom 11. September 2001 und den daraus resultierenden Kriegen in Afghanistan und Irak beobachtet Palmen die zunehmende Prãsenz militãrischer Einsãtze und von Soldaten in den Medien. Sie wãhlt Fotografien alltãglicher Situationen - Menschen beim Einkauf im Supermarkt oder bei der Arbeit, Kinder vor dem Fernsehen oder einen Schneemann bauend - aus Zeitungen, übermalt die darauf abgebildeten Szenen und Personen zunãchst weiß und verpasst ihnen dann Soldaten-Uniformen mit Camouflage-Mustern. Die Untertitel der Fotografien verãndert sie nicht. Es entsteht eine absurde, ins comicartige gesteigerte Diskrepanz und eine finstere Ironie zwischen Text- und neuer Bildaussage: Der Krieg und seine Insignien scheinen überall und allgegenwãrtig zu sein. Die Individualitãt verliert sich aufgrund der Uniformierung, die in ihrer unterschiedlichen Camouflage-Musterung auf den jeweiligen Blãttern wiederum einen modischen Charakter gewinnt.

Als die Regierung 2001 in Rotterdam bestimmte Stra§enzüge als gefãhrlich deklariert und dort polizeiliche Überwachungskameras installiert, entsteht Palmens Serie "Streetwise". Sie fertigt Tarnanzüge in exakt den Farben und Musterungen der von den Kameras anvisierten Orte - eine Bushaltestelle, Ampel oder ein Zebrastreifen - an. Wie eine Modedesignerin entwirft und bemalt Palmen die Anzüge für jede Serie ihrer Fotografien und die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten neu. Die Fotografien zeigen die Künstlerin oder ein Model, die sich durch das Tragen des Anzugs vor dem Hintergrund ihres Umfeldes kaum noch abheben oder von ihm unterscheidbar sind. Figur, Tarnanzug und Umgebung verschmelzen miteinander.

Die gleiche Strategie des 'Street Surveillance Camera Projects' verfolgt Palmen in der Fotografie-Serie "Old City Suit" von 2006/07. Die Altstadt von Jerusalem befindet sich unter stãndiger Kontrolle durch Touristen- oder Überwachungskameras. Für ihre Fotografien entschied sich Palmen für Orte in den Gassen sowohl des arabischen als auch des christlichen Viertels. Wiederum macht ein der Stra§enpflasterung farblich und strukturell angepasster Tarnanzug die im Bild stehende Figur für die am Bildrand sichtbaren Kameras und für den Betrachter der Werke beinahe unkenntlich. Einerseits dient die Camouflage der Tarnanzüge dem Schutz der Trãgerin oder des Trãgers vor dem identifizierenden Blick der Überwachung und dem Zugriff der Kontrolle. Andererseits - und darin liegt die paradoxe Spannung der Arbeiten Palmens - verzerrt die doch wahrnehmbare 3-Dimensionalitãt und körperliche Prãsenz des Models im Tarnanzug die Perspektive ebener Flãchen, so dass der Betrachter bei genauer Beobachtung die Camouflage enttarnen kann.

Die aus dem Blickwinkel der Überwachungskamera aufgenommene Videoarbeit "Old City Suit" betont die Nãhe zur Skulptur sowie den performativen und spielerischen Aspekt von Desiree Palmens Kunst. Das Model steht unbeweglich inmitten der Straße wãhrend Passanten vorbeikommen und ein Junge versucht, die reglose Figur durch Mimik und Interaktion zu beleben. Erst die Durchfahrt eines Fahrzeugs zwingt sie zur Aufgabe ihrer statuarischen Position - und damit zur Preisgabe ihrer Tarnung: Durch eine kleine Bewegung, einen Schritt zur Seite, wird die Camouflage entlarvt und verliert ihren tãuschenden Charakter für den Beobachter. Dennoch ist sie auf diese Weise erst deutlich wahrnehmbar.

"Die Camouflage ist wirksam, weil sie die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zieht"(1), so verweist die Künstlerin auf diesen Widerspruch. Neben einer Kritik an den inzwischen unzãhligen Möglichkeiten der Überwachung sowie dem Wunsch nach Schutz vor einer andauernden Beobachtung geht es Palmen um gesellschaftliche Zwãnge und deren Kontrollmechanismen: "Kleidung bietet (...) auch Schutz im psychologischen und sozialen Sinne. Durch das Tragen bestimmter Kleidung gehört man immer auch einer bestimmten Gruppe von Menschen an und genießt durch die Zugehörigkeit die Obhut dieser Gruppe. Man schirmt sich damit auch gegen allzu eindringliche Blicke ab, die einem begegnen, wenn man von der ãu§eren Norm abweicht."(2) In einer Situation, die von Anpassungsdruck, der Furcht vor Beobachtung, Erfassung und Verfolgung, der Angst vor Vorurteilen und Ausgrenzung gekennzeichnet ist, eröffnet das Konzept der Camouflage als Strategie des Verschwindens einen Freiraum für Identitãt und Selbstbestimmung.

(1) Desiree Palmen, in: Stradda, Nr. 16, April 2010, S. 38
(2) Desiree Palmen, in: Katalog Schnittraum 'Out of Sight', hg. Von Maria Anna Tappeiner, Köln 2002, o.S.

Claudia Funke, September 2010

For more information and/or the English translation of this text: www.galeriefunke.de



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